Elton John et al.

Am 7. Mai ist es amtlich. Der Name, mit dem Reginald Kenneth Dwight seit zwei Jahren Schallplatten veröffentlicht, steht jetzt auch im Pass: ELTON JOHN. Der schlichte Name garantiert nicht nur Wiedererkennung, signalisiert als sorgfältige Wahl Reminiszenzen an Freunde, den Saxofonisten Elton Dean und den Sänger John Baldry, mit denen Reg in der Band Bluesology agierte. Auch mit seinem selbstgestrickten Namen verzichtet ELTON JOHN nicht auf einen zweiten Vornamen und nennt sich Hercules. Der überdeutliche Hinweis auf eine gewünschte Klassifizierung relativiert ELTON JOHN dann doch lieber selbst und versteckt sich auf der gerade erschienenen LP Honky Château hinter einem Haustier: Living and loving with a cat named Hercules. Trotz Ermutigung seines schwulen Kumpels John Baldry kann sich Elton zur sexuellen Passungsarbeit erstmal nicht entschließen und singt lieber marktgerecht: well, I like women. Immerhin leiht er Baldry seine Stimme für dessen neustes Album Everything stops for tea.

Paul Francis Gadd versucht sich als Paul Monday, Paul Raven oder als Rubber Bucket – erfolglos. Systematisch testet er leicht zu merkende Alliterationen und buchstabiert das Alphabet rückwärts. Wie wär’s mit Vicky Vomit, Terry Tinsel, Stanley Sparkl? Mr. Gadd bleibt beim „G“ hängen. Als GARY GLITTER katapultiert er sich mit einem telling name 1972 endlich in die Sphären des glitzernden Glamrock-Himmels, in die er schon lange strebt.

Für Herrn Bloeth reicht es nicht, als martialischer TONY MARSHALL das Schlagervolk mit stampfenden Marschrhythmen zu beglücken. Ein Marshall verpflichtet zu vollem Haar – auch wenn Herr Bloeth ein Toupet zu Hilfe nehmen muss und so zu einem Gesamtpaket des self-fashioning greift.

Mr. Deutschendorf singt auf einer seiner beiden LPs des Jahres, es sei ein long way from LA to Denver, offenbar viel länger als der Weg von der deutschen Großmutter zum amerikanischen Heimatkult. The wind will whisper your name to me, und schon verwandelt sich John Deutschendorf in die Marke JOHN DENVER, zieht in die Rocky Mountains und trällert erfolgreich von der schönen Heimat seiner neuen Identität.

Wenn man wie Roland Kent Lavoie in einem Song ausdrücklich auf das Selfdesign hinweist und sich rhetorisch fragt, Am I true to myself? Am I playing a role?, scheint sich Roland mit seinem Namen als spanischer Wolfs-Mensch nicht so recht anfreunden zu können, obwohl er erst als griffiger LOBO seinen Hit platziert.

Identitätsarbeit geht auch anders, radikaler. WALTER CAROLS, Physiker, Mitentwickler von Synthesizern, Komponist für wegweisende elektronische Musik und verantwortlich für den Soundtrack von Clockwork Orange, beginnt parallel zu seinem neuen Album Sonic Seasonings mit Operationen, die seinen neuen Namen Wendy auch körperlich legitimieren.

Den gleichen Weg hat Thomas Kretzschmer vor sich, der in der Hamburger Szene agiert und auf UDO LINDENBERGs Debütplatte als Deutschrocker ebenso Gitarre spielt wie auf dem Projekt 8 days in April mit Inga Rumpf und Jean-Jaques Kravetz. Als Carola Kretzschmer macht sie das dann wieder, als Lindenberg im Fahrwasser seines neuerlichen Erfolgs 38 Jahre später durch die Lande tourt.

Auf den guten Klang englischer Namen setzt in Deutschland nicht nur Tony „Bloeth“ Marschall, auch die Plattenfirma des jungen Kroate Edward Zanki empfindet seinen Namen als wenig attraktiv für einen Rockstar und verordnet ihm statt dessen, als DON ANADERSON anzutreten. Gebracht hat es allerdings nicht viel, in die Charts kommt man als DON ANADERSON auch nicht. Erst als die Neue Deutsche Welle authentische Identitätsarbeit betreibt, kann Edo Zanki erfolgreich zu sich selbst finden.

Umgekehrt geht’s ebenso. Der Krautrock entdeckt das Nationale. Wenn jedoch der Name angloamerikanische Herkunft codiert, wirkt das deklarierte Deutsche an CREATIVE ROCK nur wenig glaubwürdig. Steve Haggerty ist jetzt Rainer Erbel. Erst als Steve Haggerty im neuen Jahrtausend mit Countrymusik auf Schützenfesten aufspielt, darf er wieder Steve Haggerty heißen und einen Cowboyhut aufsetzen.

Country im Partyzelt mit Steve Haggerty & The Wanted

Das Duisburger Duo KALACAKRA präsentiert auf seiner einzigen Scheibe Crawling to Lhasa die ultimative Lösung in der Frage des Namedropping: Sprachphilosophie, die hinter den mittelalterlichen Universalienstreit zurückfällt: Alles, Belebtes und Unbelebtes, trägt den gleichen Namen: Jaceline. Es ist eine Welt der großen Einheit und Gemeinschaft, eine Traumwelt ohne Entfremdung, Konflikte, Neurosen. Der Name ist – wie Claude Lévi-Strauss sagt – der „Saum eines allgemeinen Klassifikationssystems“ (Lévi-Strauss, Das wilde Denken), namentliche Identifizierung schaffe die Zugehörigkeit zu einer Klasse. Jeder ist Teil der großen Jaceline-Gattung.

„Es war einmal ein kleines Mädchen, das Jaceline hieß. Und die hatte eine Mutter, die Frau Jaceline hieß und einen Vater, der Herr Jaceline hieß. Und die, die hatten Freunde, die Herr Jaceline und Frau Jaceline hießen. Und die Freunde hatten sieben Kinder, die Jaceline, Jaceline, Jaceline, Jaceline, Jaceline, Jaceline und Jaceline hießen. Und die kleine Jaceline hatte Puppen – drei Puppen – die Jaceline, Jaceline und Jaceline hießen. Und die kleine Jaceline hatte eine Cousine, die Jaceline hieß. Und die Cousine hatte einen Bruder, der Jaceline hieß. Und der Bruder hatte einen Kameraden, der Jaceline hieß. Der Bruder hatte einen Kameraden, der Jaceline hieß. Und er hatte Holzpferde – Holzpferde, die Jaceline hießen. Und Bleisoldaten, die Jaceline hießen.“ (KALACAKRA, Jaceline)