Jack Nitzsche, Rick Wakeman, Popol Vuh gehen in die Kirche

In der kleinen Kirche St. Giles Cripplegate, heute im Zentrum der Londoner Finanzwelt eingezwängt, gaben sich 1972 Musiker die Klinke in die Hand, die man sonst nicht in einer Kirche vermutet.

Der amerikanische Pianist Jack Nitzsche machte sich einen Namen als Komponist und Arrangeur und Filmmusiker, der für Phil Spector, RANDY NEWMAN; die ROLLING STONES oder IKE & TINA TURNER arbeitete. Zudem gehörte er zu NEIL YOUNGs Begleitband CRAZY HORSE. Der ausgebildete Musiker hat keine Scheu vor einer Kirche und ihrer Akustik. Zusammen mit dem LONDON SYMPHONY ORCHESTRA spielt er sechs Stücke ein und presst sie auf eine Langspielplatte, die als Titel den Namen der Kirche erhält: St. Giles Cripplegate. Als die Platte im August erschien, beschäftigt sich Nitzsche längst mit einem anderen, ebenso christlich motivierten Projekt: der Musik für den Film „The Exorcist“.

Rick Wakeman ist mit der Arbeit am YES-Album Close to the Edge sowie der Tour nicht ganz ausgelastet und spielt parallel Songs für sein erstes Solo-Album ein. Es sind nur zweieinhalb Meilen vom Trident Studio zu St. Giles Cripplegate. Der überzeugende Sound ihrer Orgel ist Grund genug, den Song Jane Seymour in der Kirche einzuspielen. Die Fertigstellung der Platte zieht sich hin, obwohl Wakeman schon im Februar damit begonnen hat. Sie erscheint dann erst im Januar des folgenden Jahres 1973. 

Auch Florian Fricke ist ein studierter, klassisch ausgebildeter Pianist, der Mozart liebt. Er trifft in München Werner Herzog, für dessen Filme er die Musik komponiert. 1969 entdeckt der den brandneuen Moog-Syntheziser, der das Kerninstrument seiner 1970 gegründeten Band POPOL VUH bildet. Elektronische Klangwelten bestimmen für einige Zeit seine musikalische Arbeit, werden für Fricke aber zunehmend langweilig. Das deutet sich 1972 schon an. Die zweite Seite der Platte In den Gärten Pharaos besteht aus dem einen, über 19 Minuten langen Stück Popol Vuh. Fricke spielt dort auf der Orgel der barocken Stiftskirche St. Margarete in Baumburg am Chiemsee. Das ist der Schritt aus seinem elektronischen Moog-Raum in Miesbach in den spirituellen Klangraum einer Barockkirche. Fricke nimmt dafür die 70 km Entfernung in Kauf. POPOL VUHs vierte LP Seligpreisung wird dann 1973 vollständig in der Kirche aufgenommen. Fricke verzichtet auf jegliche Elektronik, stellt den Moog in den Keller und sitzt wieder vor dem Flügel. Bravo berichtet: „Popol Vuh: Ihr Studio ist eine Kirche.“