Pink Floyd

Der 1. Januar 1972 sollte ein einschneidendes Datum sein, eine Zeitenwende, ein Paradigmawechsel. Roger Waters hat geladen, in ein Reihenhaus in der St. Augustine’s Road in Camden. Hier wohnen Nick Mason, seine Frau Lindy und Cloe, die morgen neun Monate alt wird.

So sitzen Dave Gilmour, Nick Mason, Rick Wright und Roger Waters, genannt PINK FLOYD, am Neujahrstag im Londoner Norden und beraten über einen großen Schritt in der Geschichte ihrer Band PINK FLOYD.

Für Waters hat sich die bisherige Methode des Songschreibens erschöpft. Das Verfahren, dass jeder eine Idee ins Studio mitbringt, aus der man gemeinsam einen Song bastelt, führe zu unbefriedigenden Wiederholungen und nicht zu dem nötigen qualitativen Sprung. Waters entfaltet ein neues Band-Konzept.

PINK FLOYD würden der Welt nicht mehr nur großartige Popmusik schenken. Ab jetzt habe PINK FLOYD etwas zu sagen, wolle im Verlauf der Welt ein Wörtchen mitreden. Diese Konzept-Platte, die er schon im Kopf habe, werde sich mit der Schattenseite der gefeierten Freiheit beschäftigen, mit den Zwängen und Ängsten, die sie so fertig machten. Ein neuer, nie gehörter Sound und eine tiefe Einsicht über den Wahnsinn der Welt.

Der zunächst überlegte Titel für das Konzeptalbum, Eclipse: A Piece for Assorted Lunatics, kann die Band nicht überzeugen. Er sei ein zwar ein guter Titel, könne man doch mit einer Sonnen- oder Mondfinsternis die Verdunkelung der Seelen zum Ausdruck bringen, an die er denke. Aber es sei nicht nur für eine kurze Zeit finster, die Ängste begleiteten sie permanent, dauernd bedrohe und lähme unsere unbewusste, dunkle Seite. Jetzt, am Neujahrstag des Jahres 1972, sei ihm klar, dass es nur einen Titel für das Konzept-Album geben könne: Dark Side of the Moon.

Waters erinnert seine Freunde an die Apollo-Mission vor drei Jahren. Zum ersten Mal konnte ein Mensch einen Blick auf die erdabgewandte Seite des Mondes werfen, die natürlich gar nicht dunkel ist, sondern nur vom Heimatplaneten nicht gesehen werden kann. Aber jeder wisse ja, dass die Rückseite des Mondes schon lange als Metapher für all das diene, das sich einem oberflächlichen Schauen entzieht.

Waters lässt die Band eine Liste schreiben mit all den Zwängen und Ängsten, unter denen sie leiden. Er empfindet das Listenschreiben sogar als so erfolgreich, dass er seine Idee während der späteren Aufnahmen im Studio fortsetzt, ja sogar erweitert. Mit einem Zettel voller Fragen rennt Waters durchs Abbey-Road-Studio und befragt jeden, der ihm über den Weg läuft, vom Pförtner bis zu Paul McCartney. Er ist begierig zu erfahren, wie man auf sein Konzept, seine Idee, seine Metaphorik reagiert. Die Antworten auf diese eine Frage sind ihm am wichtigsten: What do you think Dark Side of the Moon is all about?

Bis zur Aufnahme der Songs und der Platte sollte noch mehr als ein ganzes Jahr vergehen. Eine lange Zeit, um an den Songs zu feilen und sie zu perfektionieren. Das ist wohl auch nötig, denn der erste Versuch, das neue Material dem Publikum vorzustellen, scheitert an der aufwändigen Technik. Bis zum 20. Januar, dem ersten Tourtermin in Brighton, hat man in der Tat sehr wenig Zeit. Dennoch wird die Tour ein großartiger Erfolg. Sie benötigt keine Werbung. Mund-zu-Mund-Propaganda sorgt für vollständig ausverkaufte Konzerte. Sechs Wochen später gipfelt sie in vier aufeinander folgende Konzerte im Londoner Rainbow Theatre, in denen erstmalig ein Live-Quadro-Sound eingesetzt wurde, der nie gehörte Klangerlebnisse hervorruft. Die Platte Dark Side of the Moon sollte eine der erfolgreichsten Platten aller Zeiten werden, 724 Wochen in den US-Charts verweilen und über 30 Millionen Mal verkauft werden.

In der Tat, das Treffen am 1. Januar 1972 kann als ein historisches bezeichnet werden. Für Roger Waters, dem Initiator und Kopf der dunklen Mondseite, geht aber auch etwas zu Ende. Viel später reflektiert er die Tat von 1972 in einem dunklen Wort: „Der Erfolg von Dark side of the moon war das Ende. Das Ende des Weges.“