Cover

 Die Schallplattenhülle, das Cover

Der POP-Kosmos besteht aus  1. Pose, 2. Bildern, 3. Musik. Das Cover der LP konstruiert Bedeutung: Es zeigt, was man zu hören bekommt. Ein Cover betrachten heißt, Bilder zu lesen: symbolisch, metaphorisch, assoziativ. Die Deutung des Covers analysiert im besten Fall die Pose der Band und ihre Positon im Zeitgeist.

Das Cover verhüllt die Schallplatte. Die LP lebt von der Ambivalenz zwischen außen und innen, zwischen dem Sichtbaren und dem Verdeckten, zwischen Cover und Undercover. Die australische Band APRIL WINE verrückt auf ihrem Debut die Cover-Logik mit einem Trompe-l’œil. Das Innen des Vinyls wird zum Außen der Hülle: ein selbstreflexives Cover.

Ein Klick auf das Cover und Sie erfahren mehr.
Und wer lieber hört als liest, mag den YouTube-Kanal „Cover 72“ verfolgen. Bisher liegen dort:

Intro: https://www.youtube.com/watch?v=xjkP-O_NWNE
Janus: https://www.youtube.com/watch?v=ckqaxWaGqdQ
Natur/Kultur: https://youtu.be/NmlKS3uDpZc

 

 

 

1972 ist das Jahr der Gimmix-Cover. Eine haptische Ästhetik begleitet die akustische. Die Platte auf den Teller legen, die Anlage aufdrehen, Ohren beschallen und zugleich basteln, entfalten, aufklappen. Es ist eine spielerische Welt in der synästhetischen Analogie von Hören, Sehen und Fühlen.

 

 

Für Arnold Gehlen ist „der Mensch von Natur ein Kulturwesen“. Kultur verwandelt ein tierisches Mängelwesen in einen Menschen. Selbstgeschaffene künstliche, künstlerische Welten stabilisieren seinen Ausstieg aus der Natur, indem sie eine „zweite Natur“ erfinden. Die Evolution des Menschen überschreitet die Schwelle des magischen Kreises in eine höhere Sphäre.

Jedoch bleibt der Antagonismus zur Natur eine permanente Herausforderung. Kulturelle Produkte müssen immer wieder für die Selbstversicherung des Menschen sorgen, sollen einen Rückfall in die Natur, in seine tierische Vergangenheit verhindern. Pop-Musik bietet eine Einheit von Sound und Bild, von akustischen und optischen Erfahrungen. Nicht nur tierisch schreiende Gitarren, entgrenzende Klangwelten, auch Bildwelten rühren an der Grenze zwischen Kultur und Natur.

Die tierische Vergangenheit, die wilde Natur schlummert latent im menschlichen Dasein. Der Mensch hat die Bestie in ihm nicht getötet, sondern nur eingesperrt, und muss immer wieder prüfen, ob der Käfig auch tatsächlich gut verschlossen ist. Die Grenze zwischen Mensch und Tier bliebt fragil, fließend. In archaischen Zeiten wagten sich Schamanen mit ihren magischen Praktiken an die Grenzen des Menschseins, indem sie sich der Gefahr einer Verwandlung in Dämonen aussetzten. Im Laufe der Kulturgeschichte übernehmen andere kulturelle Praktiken diese Funktion der Religion. Der Schamanismus von heute ist die Pop-Musik, der Rock ‘n‘ Roller ist ein Grenzgänger zwischen Kultur und Natur. Der Sound rüttelt an den Stäben des Käfigs, lockt die wilde Bestie, beschwört und hemmt zugleich die dunkle, triebhafte Seite. Wenn die schamanistische Ekstase, das Herausschreiten aus dem menschlichen Dasein, gelingt, kann sich Musik als kontrollierter Kontrollverlust erweisen, ist im besten Fall ein Kulturprodukt, das im gefährlichen Spiel mit der ersten Natur die Kraft der zweiten Natur beschwört.

Die gesamte Kulturgeschichte lässt sich als Kampf der zweiten Natur gegen die Bedrohung durch eine Wiederkehr der verdrängten ersten Natur verstehen. Schon die ersten bekannten Kulturprodukte aus der Frühzeit menschlicher Zivilisation reflektieren Nähe und Distanz zum nächsten Naturwesen, dem Tier. Die Tradition totemistischer Chimären erforscht immer wieder den Zusammenhang von Identität und Differenz von Mensch und Natur.

Exemplarisch stellt sich Cover-Kunst im Jahr 1972 in die lange Tradition der Darstellung von Chimären und zeigt neue Versionen von Mischwesen. Nach Sphinx und Froschkönig kann sich die zweite Natur erlauben, mit der Angstlust für ihre kulturellen Produkte zu werben. Gerne verweist der Rock ‘n‘ Roll auf die wilde Bestie in uns und spielt mit der Angst, dem bedrohlichen Schrecken, enthemmter Sexualität und ekstatischem Rausch – um sich gerade darin des Menschseins zu versichern. Pop-Musik ist eine essentielle Selbstbestätigung des Menschen. 

Ein mysteriöses Spiel mit okkulten Symbolen und schamanistischen Mischwesen macht das Album WARLOCK zu einer singulären, aber dann doch repräsentativen Erscheinung im Jahr 1972.

Auffällig viele Cover von 72er-LPs zeigen Naturmotive. Aber man darf sich nicht täuschen lassen. Keineswegs bedeutet das irgendeine zivilisationskritische Sehnsucht, gar ein ökologisches Bewusstsein oder den Wunsch nach einem natürlichen Leben. Im Gegenteil bekräftigt die Ästhetisierung von „Natur“ die Kunst der Pop-Musik.

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Selbst die scheinbar reine Abbildung von Natur distanziert sich durch ihre ästhetisierende Form von dem Abgebildeten. Niemals lebt der Mensch in und mit der Natur, immer schon ist er von ihr entfremdet. Es gibt keinen Notausgang aus der Kultur, selbst dem getarnten soldatischen Sein gelingt es nicht auszusteigen. Uns so wird die natürlichste Tätigkeit inmitten der Natur zur Botschaft der gewollten Distanz: Ich pisse auf dich, Natur!

Der Mensch ist als Kulturwesen im Dazwischen: von seiner tierischen Vergangenheit entkoppelt, ist seine Naturerfahrung immer schon eine künstliche: Natur ist nur als gemalte erträglich. Kreischende Gitarren verwandeln die Geräusche der Natur, den Bio-Lärm in gemachte Kulturprodukte, in produzierte Klänge, in den Sound des Pop.

Es ist kein Zufall, dass so viele Vögel die 72er-Cover schmücken. Für Darwin sind Vögel die Ästheten der Natur. Männer werben um die Aufmerksamkeit der Frauen durch ihren betörenden Gesang, errichten kunstvolle Nester und trainieren Posen. Das ist das Modell: Sex ist der Preis für den Rock’n’Roll. Albert Mangelsdorff macht es vor. Mit seiner Posaune plustert er sich auf wie ein Pfau, der Chor der Vogelschar stimmt ein.

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Cover-Art-Work kann Kunst sein: Ein Cover zitiert bekannte Kunstwerke (van Gogh, Picasso) oder ist selbst ein Kunstwerk. Es koppeln sich bildende Kunst und Pop-Musik. Andy Warhol verkörpert selbst schon die Symbiose von Farbe, Druck und Sound im Pop, wenn er für seinen Factory- und Velvet Underground-Kumpel John Cale das Cover gestaltet.

 

Die amerikanische Band EARTHQUIRE parodiert das berühmte Gemälde Des glaneuses von Jean-François Millet aus dem Jahr 1857. Die Ährenpfückerin erntet nun kleine Menschen aus dem Boden und nimmt ihren Namen wörtlich: Dies sind die Erdbewohner. 

 

 

Hipgnosis war eine britische Grafikdesign-Agentur, die von 1968 bis 1985 Schallplattencover gestaltete und Maßstäbe setzte. Hipgnosis machte aus jedem Cover ein Kunstwerk – na ja, aus fast jedem (je nach Budget).

Hipgnosis waren vor allem Storm Thorgerson und Aubrey Powell. Thorgenson besuchte dieselbe Schule wie Roger Waters und Syd Barrett, die Eltern waren befreundet. Aubrey Powell kannte Barrett aus der Kunsthochschule und bot sich 1967 als Fahrer für die Lightshow-Ausstattung von PINK FLOYD an. Nach Filmen und Entwürfen für Buch-Cover begannen Thorgerson und Powell 1968 mit der Gestaltung von Plattencover. Ihr Wortspiel-Label „Hipgnosis“ stammt von Barrett, der es in einem mehr oder weniger lichten Moment auf die Tür der Londoner Wohnung kritzelte. Für die Kumpels von PINK FLOYD gaben sie sich besondere Mühe und kreierten Cover, die so völlig anders waren als die üblichen. Nach den „Non-Cover“ für Atom Heart Mother 1970 (Kuh) und Meddle 1971 (Unterwasserohr), die ohne Bandname und Plattentitel auskommen, wünschte sich die Band für die folgende Platte ein Cover, das „smarter, neater — more classy“ sein sollte.

Während der Aufnahmen für The Dark Side of the Moon seit Juni 1972 zeigte Thorgerson der Band in einem tristen Kellerraum des Abbey-Road-Studios sieben Entwürfe. Die Entscheidung fiel in drei Minuten. „That‘s it“ sagte die Band unisono und verschwand sofort wieder zu ihren Instrumenten. Ein kurzer Moment für eines der großartigsten Cover der Pop-Geschichte.

Roger Dean (*31.8.44) schließt 1968 sein Kunststudium in Canterbury ab und gestaltet für die Band GUN zum ersten Mal ein Cover. Er wohnte nach seinem Studium eine Zeit lang im gleichen Haus wie Storm Thorgerson und Syd Barrett. Einmal wollten Thorgerson und Dean gemeinsam ein Cover gestalten: „We tried it once and it was a complete failure.“ Zwei völlig unterschiedliche Cover-Welten treffen auf engstem Raum aufeinander. Hier die utopische Fantasy-Welt am Rande des Kitsch, dort ein unkonventioneller Ästhetizismus. Beide verbindet das Surreale als den Zeitgeist der frühen 70er.

Über OSIBISA gelangt Dean zur Band YES, für die er so gut wie alle Cover malt. Auch für das Bandlogo ist er verantwortlich. Seitdem zieren seine fantastischen Bilder zahlreiche Plattencover. Roger Dean entwirft auch – vermittelt durch Thorgerson – das Logo für das Harvest-Label und für das 1972 gegründete Label Virgin Records. Dean leitet 1972 mit einem Spaceship-Bild die Wende für Vertigo ein. Die progressive Phase der Swirl-Platten endet, die Mainstream-Kommerzialisierung beginnt.

1972 ist die Welt bunt. Eine Explosion von Farbe bildet die Rückseite für das Silber, das die symbolische Farbe des Jahres ist. Das bunte Cover ist jedoch kein Abbild der bunten 72er-Welt. Im Gegenteil. Das gezeichnete Bild schaltet sich zwischen Betrachter und Welt. Das Cover öffnet den Blick und verschließt zugleich den Zugang zur Welt. Die bunte Cover-Welt ist 1972 gezeichnet. Sie kennzeichnet ein Außen des Covers, das auf das Innere der Musik weist. Sie ästhetisiert das Objektive. Die Kunst aus Coverbild und Sound erschafft einen neuen Raum. Nicht die Welt ist bunt, sondern das Cover erschließt eine neue Dimension: Alles so schön bunt hier.

Die gezeichnete Welt hat ein Vorbild: den Comicstrip. Hier ist alles erlaubt und möglich. Der Comic ist nicht nur bunt, ästhetisiert die Welt, der Comic versprüht auch Witz und Kritik, karikiert, überspitzt und pointiert. Genau das ist es, was das Jahr 1972 illustriert.

 

 

 

 

 

Elektrizität ist eine Energie, die dem Organischen und Anorganischen gemeinsam ist. Biologische Elektrizität versöhnt Materie und Leben, sie ist eine universelle Kraft. Sie findet ihr Symbol in der elektrischen Gitarre. Indem die Gitarre expansive Technologie physisch aneignet, verwirklicht sie „körperliche, ja sexuelle Emanzipation“ (Diedrich Diederichsen). Jugendliche Begierde, Wut und Frustration finden in der elektrischen Gitarre ihren Ausdruck, ihr symbolisches Objekt. Rock bedeutet „elektrifizierte Hormone“ (Tristan Garcia). Die Nerven und das innere Gewitter des geschlechtsreifen Wesens vibrieren in der Intensität des elektrischen Stroms, der den Sound der Emanzipation produziert. Die elektrische Gitarre versammelt das Ideal einer befreiten Jugend: Sie entfesselt alle Empfindungen, sie schreit nach Liebe, brüllt gegen elterlichen Zwang, gegen gesellschaftliche Anpassungen und Entsagungen, verheißt ein schnelles, intensives Leben. Ihr Klangkörper ist ein Sexobjekt, zugleich Phallus und weiblicher Torso. Zärtliche Fingerfertigkeit erschafft unerhörte Klangkörper, verspricht sexuelle Ekstase. Kurz: Die Gitarre ist „elektrifizierte Romantik“ (Garcia).

Jeder Satellit hat einen Killersatelliten, auch die Gitarre besitzt einen Januskopf. Das Gegenmodell zur Stromgitarre, der Befreiung mithilfe körperlicher Adaption von Technologie, ist die akustische Gitarre als Symbol der Authentizität. Der Singer-Songwriter, der mit seiner schwachen Stimme ausschließlich von sich selbst erzählt, wird zum „Imperativ der unbedingten Selbstverwirklichungsshow“ (Diederichsen). Die Beschwörung des Echten, der Natur, der tiefen Gefühle, des wahren Ich, aber auch der Vision einer Welt von Love & Peace, zeigt sich als anitmodernistischer Protest gegen elektrische Intensitäten.

Beide ideologische Tendenzen verdichten sich in der Gitarre. Sie ist das Instrument einer Epoche, in der die Rockmusik höchste gesellschaftliche Relevanz besaß. Die Gitarre ist das Objekt eines Zeitgeistes, der zwischen technologischem Fortschrittsoptimismus und einer Rückkehr zur inneren und äußeren Natürlichkeit oszilliert.

Gesichter dominieren die Cover des Jahres 1972. Cover-Kunst stellt sich in die lange Kunstgeschichte der europäischen Portraitmalerei und zeigt so schon den Anspruch, als echte Kunst wahrgenommen zu werden. Die Bilder der Musiker schaffen Nähe zum Fan, bieten Identifikationspotential. Die Cover-Gesichter kann man wie jedes Bild lesen. Sie demonstrieren einen Zeitgeist, der von einer großen Ernsthaftigkeit geprägt ist. Wer lacht, macht sich verdächtig, ein unreflektierter Schlagerhansel zu sein, der vor den Problemen dieser Welt in eine illusionäre Traumwelt flieht und die Auseinandersetzung scheut. Die Kunst ist nicht affirmativ, sondern kritisch. Mit aller Macht scheint das die Botschaft zu sein, die in den Gesichtern der Cover geschrieben steht.