Poser-Paradox

Das Poser-Paradox

Pop ist Pose. Doch jede Pose hat ein Problem. Wer posiert, nimmt eine unnatürliche Körperhaltung ein, präsentiert ein besonderes Gebaren. Zugleich möchte aber diese sehr spezielle Körperlichkeit nicht als Pose erkennbar sein. Jede Pose strebt nach Implosion, danach, in sich selbst zu verschwinden.

Die große Kunst der Pose liegt in diesem Poser-Paradox. Die Pose ist umso besser, je mehr sie nicht als Pose erkennbar ist. Die Pose überzeugt, wenn sie ihre Künstlichkeit verbergen kann und Authentizität vermittelt. Die Pose als Prinzip des Pop hat nur dann Erfolg, wenn das Aufgesetzte, Gewollte, Artifizielle so tut, als ab es das Echte sei. Die Pose ist das Authentische als ob. Ein Pop-Star ist geboren, wenn er es schafft, das Künstliche als das Natürliche zu verkaufen.

An dieser großen Aufgabe kann man aber auch scheitern. Wenn die Pose gar nicht so opak ist wie gedacht, wenn der Pop-Konsument das Aufgesetzte bemerkt, bricht die schöne, gemachte Pop-Welt in sich zusammen.

Was halten Sie von dieser Pose eines bekannten Schauspielers, Sängers und Entertainers? Was will uns dieser Körper sagen? Muss der Betrachter damit rechnen, gleich von einem rechten Haken erwischt zu werden? Weicht der Herr im schicken Cordanzug mit angstverzerrtem Gesicht vor unserer gnadenlosen Kritik zurück, sorgt er mit ausgestrecktem Arm für eine Distanz zum Publikum? Ist das eine aggressive Drohung, ein defensiver Fluchtreflex oder lädt er uns zu einem Spaßkämpfchen ein?

Vielleicht gibt die Innenseite des Klapp-Covers eine Antwort. Hier erwarten uns weitere Posen: das in flagranti erwischte Kind, der von seinen Emotionen Überwältigte, ein ekstatischer Jubel oder der Katechont, der den Weltverlauf stoppt.

P.A. posiert nicht, er übt das Posieren und will uns sagen, wie groß und schwer die Aufgabe doch ist, eine künstliche Körperhaltung in natürliche Echtheit zu verwandeln.

Auf der Rückseite der LP wendet er sich lachend von uns ab. Eine entschuldigende, relativierende Hand gibt uns einen Wink und will sagen: Die Pose des Pop ist absolut ernst, aber so ernst auch wieder nicht.

Wie wär‘s mit einer freundlichen Deutung dieses Covers. Das Rätsel der Abkürzung P.A. als Titel der LP bedeutet also nicht „Peinlicher Angeber“, sondern doch wohl eher: „Prominenter Aufklärer“. P.A. entlarvt die Pose, verrät uns das Geheimnis, das die Pose verschleiern möchte. Dieses Cover ist ironisch, indem es zeigt, dass authentisch wirkende Haltungen nichts anderes sind als eingeübte Stellungen.

Hier sind noch die Cover von zwei Bands, die am Paradox der Pose scheitern.

Da ist zunächst die Band um den gerade verstorbenen Eric Carmen, die Raspberriers. Auf ihrem ersten Album übt die Band Coolness. Ganz in Schwarz gekleidet, wenig beleuchtet, stemmt der Frontmann die Hände selbstbewusst in die Hüften. Diese Ausgabe der LP verzichtet sogar auf Bandlogo und Titel. Es gibt nichts außer der düsteren Band und den blauen Himmel. Diese vier jungen Herren posieren als harte Rocker, die den Himmel verdunkeln. Doch so erfolgreich wie erhofft wirkte diese Pose nicht, die Platte verkaufte sich nur so leidlich. Was macht die Band?

Auf ihrer zweiten LP, die ein halbes Jahr später im Herbst 1972 erscheint, ändert sie ihr Image von heute auf morgen und verwandelt sich in zuckersüße Tanzmucker. Man sieht: Die harten Boys sind doch eigentlich nur nette Schwiegersöhne und nur noch fresh und fruchtige Himbeeren.

Wenn man dieses Cover sieht, könnte man schon an der Echtheit der grinsenden Gesichter zweifeln, doch ein Vergleich beider LPs aus dem Jahr 1972 stürzt die Band in ein Dilemma. Ihre plötzliche Metamorphose entlarvt die Posen in ihrer aufgesetzten Künstlichkeit. Den Raspberries gelingt es nicht, die Pose als Pose unkenntlich zu machen.

Genau umgekehrt verfährt die holländische Band Shocking Blue. Im März 72 erscheint die LP „Inkpot“. Ganz angepasst an den Glam-Rock-Zeitgeist posiert die Band fröhlich, knallbunt, total entspannt und freut sich des Lebens. Ein halbes Jahr später, im November, erscheint die nächste LP in zwei Versionen mit unterschiedlichen Titeln, „Attila“ oder als „Eve & the Apple“.

In nur einem halben Jahr verwandelt sich der fröhliche Spaß in bitteren Ernst. Das Lachen ist ihnen vergangen. Die grellen Farben werden durch schwarzes Lack mit ein wenig weißem Glitzer ersetzt. Was ist passiert, dass die freundlichen jungen Leute von neulich nun so an der Welt leiden? Ist das schon die letzte Generation? Führen sie plötzlich einen brutalen Krieg wie der Hunnenkönig oder erkennen sie die entfremdete Welt nach dem Sündenfall?

Aber auch hier misslingt die Pose. Die beiden Cover zerlegen sich gegenseitig. Nebeneinander kann man weder der einen noch der anderen Pose Glauben schenken.

Wir lernen von Shocking Blue und den Raspberriers, wie man es im Pop nicht machen sollte, denn diese beiden Bands schaffen es nicht, die künstliche Pose in echte Natur zu verwandeln.

Nur die beeindruckende Haarpracht von Eric Carmen kann man durch die beste Perücke nicht simulieren. Diese Pose stimmt.