The Farm-Band
THE FARM BAND veröffentlicht 1972 ihr erstes von vier Alben als eine titellose Doppel-LP. Am Schlagzeug sitzt der 37jährige Stephen Gaskin.
Bis vor einem Jahr war er Englisch-Dozent an der San Francisco State University. Sein Kurs Creative Writing, die sog. Monday Night Class, entwickelte sich zu einem angesagten Hippie-Szenetreffen mit bis zu 1500 Teilnehmern. Der Acid-Guru Gaskin referierte über Erfahrungen mit psychedelischen Drogen und warb für eine ökologische Lebenseinstellung. Der große Erfolg seiner Veranstaltungen sollte nicht auf San Francisco begrenzt sei. Getrieben von einem enthusiastischen Sendungsbewusstsein begab sich Gaskin mit seinen treuesten Anhängern 1970 auf eine viermonatige Vortragsreise durch die USA.
Mit 60 Schulbussen, VW Bullis und Lastwagen tourten die Wanderprediger durch das Land und verkündeten in Colleges, Kirchen und anderen Jugend-Institutionen ihre Botschaft von einem freien, selbstbestimmten Lebens jenseits der bürgerlichen Konventionen.
Auf dieser Reise reifte die Idee, eine eigene Gemeinschaft zu gründen. So kaufte Gaskin zusammen mit 300 Jüngern vier Quadratkilometer Land in Tennessee, in der Nähe der Stadt Summertown, und gründete The Farm, eine Kommune, die sich zu Gewaltlosigkeit und einem ökologischen Bewusstsein verpflichtete. Ganz im Rousseauschen Sinne wird persönliches Eigentum abgeschafft, wer mitmachen will, übergibt seinen Besitz dem Kollektiv. Statt Alkohol, Tabak oder LSD erhoben sie das Kiffen zu einem heiligen Sakrament, das sie in eine spirituelle Dimension und zur universellen Brüderlichkeit transzendierte. Stephen Gaskin glaubte an die Heiligkeit der Ehe. Zwischen zwei Menschen fließe kosmische Energie, die er als Saft (the juice) identifizierte. Einige Gemeindemitglieder testen in einem Vier-Ehe-System allerdings auch Gruppenehen, die aber recht schnell scheiterten.
Diese Idee einer alternativen Lebensgemeinschaft zog viele junge Leute an. Die Kommune erweiterte sich räumlich und personell. 1972 bestand die Farm aus ca. 500 Mitglieder, zwei Jahre später wuchs sie auf 750 Menschen innerhalb der verschiedenen Farm-Betriebe an. Es gab 160 verheiratete Paare und 250 Kinder, für die natürlich eigene Schulen eingerichtet wurden. Auf ihrem Zenit lebten 1600 Mitgliedern in der neuen Welt.
Aus dem intensiven Anbau von Gemüse, Salaten und Früchten entstand die Good Tasting Nutritional Yeast Mail Order Company, die der Community eine solide und dauerhafte Einnahmequelle sicherte, die sie für die Gemeinschaft und deren sozialen Projekte nutzte. Das gemeinsame Kapital diente nicht nur dem Eigenzweck, von Anfang an initiierte die Farm Hilfsprojekte und gab dieser Idee 1974 den Titel Plenty USA. So wurden 1976 über 1000 Häuser in Guatemala nach einem Erdbeben wieder aufgebaut. In Belize, Mittelamerika, wurde ein Schulmittagessen-Programm etabliert, indem Schulen Bio-Gärten für die Ernährung der Kinder anlegten. Ein Hebammenprogramm bildete Maya-Frauen in Schwangerschaftsvorsorge und sicheren Geburtstechniken aus. In der Folgezeit wurden Plenty Centers in der Karibik, in Guatemala und Zentralamerika, in Afrika und in Bangladesh eröffnet, um im Sinne des alternativen Farmleben sich vor allem auf die natürliche und unabhängige Produktion von Nahrungsmitteln zu konzentrieren und sich so von den großen Konzernen unabhängig zu machen.
Allerdings gab es noch die andere, böse Welt da draußen, mit der man sich arrangieren musste, v.a. ökonomisch, und das klappte nicht lange so, wie man sich das wünschte. Finanzielle Probleme nötigten Gaskin 1983 zu einem Changeover: Das Prinzip des kollektiven Eigentum wurde aufgegeben, jetzt sollte sich jeder selbst versorgen. Viele Gründungsmitglieder zogen sich daraufhin enttäuscht zurück, die Gemeinschaft schrumpfte auf 200 Mitglieder.
Dennoch existiert The Farm auch ohne den 2014 verstorbenen Gaskin bis heute und ist immer noch getragen von ihrer Ursprungsidee eines alternativen Lebens, eines Bewusstseins für die Natur und eines sozialen Engagements für Bedürftige.
Die Farm verstand sich im Marketing und stellte breit angelegte Werbekampagnen auf. Stephen Gaskins Buch Hey Beatnik! erklärte die Kommune als Absage an ein bürgerliches Leben und fand großen Absatz. Ein gewisser Al Gore schrieb als junger Zeitungsjournalist 1972 einen ersten großen Bericht über die Community für die Zeitung The Nashville Tennessean, der zu weiteren neuen Mitgliedern führte.
THE FARM BAND trat an als ein weiterer Baustein des Missionswerks. Sie tourte durchs Land und gab Gratis-Konzerte, um mit psychedelischem Hippie-Sound für das alternative Leben auf der Farm zu werben, mit großem Erfolg. Immer mehr junge Leute entschieden sich umzukehren, ihr altes Leben aufzugeben und in der neuen Welt der Farm eine selige Vollkommenheit in spiritueller Harmonie zu erlangen. Die erste Platte wurde – entsprechend ihrer antikapitalistischen Haltung – selbst produziert und veröffentlicht. Sie konnte nicht in Plattenläden, sondern ausschließlich auf Konzerten der FARM BAND erworben werden.
Im Gegensatz zur innovativen Philosophie der Farm präsentiert sich der Sound der Platte nicht sonderlich originell, aber auch nicht dilettantisch. Angetreten als Jam-Band deckt THE FARM ein breites Stilspektum ab und bewegt sich zwischen Psychedelic, Folk-Rock und Country: Es ist Hippiemusik a la Grateful Dead.
Die LP THE FARM BAND ist ein bemerkenswertes Beispiel für die zahlreichen Versuche, Pop-Musik für andere Zwecke zu instrumentalisieren. Hier steht nicht die Musik im Vordergrund, hier treten nicht Musiker mit einem künstlerischen Anspruch auf. Es geht um etwas ganz anderes als die Musik.
Das Medium wird zu einem Medium im Wortsinn verfremdet. Die LP transportiert eine politische Botschaft. Eine Ideologie sucht sich ein Transportmittel, um Anhänger zu rekrutieren. Das Interesse an Musik wird benutzt, um für etwas anderes als Musik zu werben.
Das Exempel der FARM BAND eröffnet eine ganz grundsätzliche, musiktheoretische Frage: Hat Musik, speziell die Pop-Musik, eine Botschaft, die über ihren ästhetischen Wert hinausgeht? Orchestriert die Musik nur einen engagierten Text, dominieren die Lyrics den Sound? Ist es eine Entfremdung, gar eine kulturindustrielle Verblendung, wenn die Pop-Konsumenten subkutan eine Message injiziert bekommen? THE FARM BAND steht damit beispielhaft für ein ganzen Genre, den Protest Song und stellt die weiterhin offene Frage: Worin liegt der ästhetische Wert des Pop?