Die Posen des Glam-Rock
Schauen Sie einmal in dieses rätselhafte Gesicht. Hat der junge Mann Angst, Verstopfung, einen Lachkrampf oder ist er kurz davor, seine bleckenden Zähne in ein Beutetier zu schlagen.
Halten wir eine ebenso merkwürdige Geste daneben.
Vier Männer bemühen sich um einen wirklich sehr sehr ernsten Blick. Dabei recken sie uns ihre Faust entgegen, die fast die Bildgrenze überschreitet. Unwillkürlich erhöht man den Abstand zum Cover, um nicht von einem Schlag erwischt zu werden. Müssen wir eine hohes Aggressionspotential befürchten, das sich gegen den Betrachter richtet? Doch der ausgestreckte, neutralisierende Daumen verrät dann doch eine gewisse Harmlosigkeit, obwohl ein Pflaster wohl eine Kampfwunde bedeckt.
Wollen sie uns einfach nur die Beschriftung ihrer Finger so zeigen, dass wir diese auf gar keinen Fall übersehen können. Ah ja, die Band heißt also SLADE. Allerdings ist der Bandname SLADE nicht etwa auf die Finger tätowiert, sondern abwaschbar.
Ein Tattoo schaltet, eigentlich erzkonservativ, eine augenblickliche ästhetische Haltung auf Ewigkeit. Für SLADE dagegen ist es möglich und sogar gewünscht, die aktuelle Botschaft auszutauschen und durch eine andere zu ersetzen. Wer weiß, was da morgen steht: vielleicht SWEET oder TIGER, LOOVE oder LOSER.
Solche Ambivalenzen irritieren. Ob der Kontext hilft? Der Nackedei mit einem ganz süßen Mädchen-Pony hat beeindruckend dicke Muskeln. Jedoch kann er die etwas krampfhafte Anspannung nicht verbergen.
Der junge Mann mit aufgerissenem Maul gibt sich viel Mühe, als Tiger durchzugehen. Er nennt sich TIGER B. SMITH, obwohl der Tiger eigentlich Holger Schmidt heißt. Holger ist ein Tier, eingepackt in ganz viel Fell, auch wenn man es mit der Raubtierart nicht so genau nimmt, Tiger, Leopard: egal, Hauptsache wild und gefährlich, schau her: Ich bin eine Venus im Pelz.
Diese beiden Cover sind Musterbeispiele für eine kurze, aber intensive Phase in der Pop-Historie, den Glam-Rock. So zwischen 1971 und 74 übernimmt das Glamouröse die Popmusik, bevor der Glanz in den Abgrund der Kommerzialisierung und Peinlichkeit versinkt.
Glamourös ist das bezaubernde Blendwerk. Es transportiert noch ein wenig von seinem Ursprung, dem okkulten Zauberspruch schottischer Schamanen, in die Gegenwart der Siebziger. Diese beiden Cover sind voll gepackt mit Poser Elementen des Glam-Rock: schrille, glitzernd bunte Klamotten. Alles möglichst extrem, alles ganz nah am Kitsch. Die Frage war nur, wie hoch können die Absätze der Plateau Stiefel sein. Die Poser sind eingehüllt in einen Samtumhang oder nur mit knappem Fell bekleidet. Stiefel, Fell, Samt, die Hand aufreizend in die Hüfte gestemmt: Die wilden Raubtiere sind gleichzeitig Schmusekatzen einer schwülstig Erotik.
SLADE posieren ganz ähnlich: schrill-bunte Oberbekleidung, eine silberne Glitzerhose treffen auf nackte Haut. Sogar das grelle Gelb der Schrift ist gleich. Und ganz wichtig: die Kameraperspektive. Der Blick von unten nach oben stellt unsere Rock Pose in eine Ästhetik der Erhabenheit, entrückt vor einem undefinierbaren Hintergrund, so macht es heute auch die Werbefotografie mit ihren Models.
Auf den ersten Blick meinen es diese jungen Männer ganz ernst: Sie sind wild und gefährlich. Aber irgendwie glauben wir ihn nicht ganz. Die Ambivalenz der Gesten, ein opulentes Outfit ganz nah an der Kitsch- oder Peinlichkeitsgrenze, das Spiel mit androgyner Geschlechtlichkeit, abseitige Sex- Assoziationen vermitteln das, was den Glam-Rock ausmacht: Ironie und Spiel. In ihrer Übertreibung wird klar, dass die tiefe Ernsthaftigkeit doch gar nicht so ernst gemeint ist. Immerhin stellt sich die Gewaltdrohung mit einem Fragezeichen selbst in Frage.
Es ist die anspruchsvollste Form der Ironie. Glam Rock ist auch selbstironisch. Die Posen machen sich nicht nur lustig über die erklärte Hochwertkultur ernsthafter Hippies oder Prog Rocker mit ihren zerschlissenen Hemden und fettigen langen Haaren.
TIGER ROCK ironisiert Männlichkeitsmuster, wie sie z.B. der klassische Rock‘n‘Roll pflegt, wenn PETER KRAUS 1959 noch singt: „Ein richtiger Mann muss wie ein Tiger sein“. Diese Glam-Rocker ironisieren sogar die Alltagesmetatpher des Tigers als Bild für Kraft und Stärke, die man in den 70ern noch aus der Werbung kennt, wenn z.B. Esso den Tiger in den Tank packen will. TIGER B. SMITH wagen, wie Walter Benjamin sagt, einen Tigersprung ins Vergangene. Sie reißen Elemente aus der Vergangenheit, um damit ihre Gegenwart zu konstruieren.
Pop ist Pose. Die Posen des Glam Rock sind Kunst als Künstlichkeit, eine Feier der Oberfläche, die das scheinbar Authentische als eine aufgesetzte, verlogene Haltung entlarvt. Das Glamouröse ist kritisch ironisch, macht aber gerade in seinem Spielcharakter einen höllischen Spaß.
Die Pose ist als Begriff ein Exportschlager aus Frankreich des 19. Jahrhunderts. Poser sind Schauspieler, die imponieren wollen. Die posierende Haltung meint hier noch einen Körpereinsatz und ist kein ideologisches Zeichensetzen und Fahnenschwenken wie heutzutage. Eine Pose ist ein überdeterminiertes Klischee. Der Poser testet, wie weit er gehen kann, bis das Publikum merkt, dass alles nur ein ironisches Spiel ist. Und dann kann eine andere Pose ausprobiert werden, die ein anderes Klischee hinterfragt.
Die Glam-Rock-Pose ist Kunst zum reinen Vergnügen, l’art pour l’art. Sie fixiert nicht eine Haltung als tiefe Wahrheit, mit der Unwissende missioniert werden sollen. Die Botschaft des Glam-Rock ist kurzzeitig und austauschbar. Der Körper als Medium des Glam-Rock ist ein offenes Feld für das Neue und Andere, ein Instant-Hedonismus, ein fröhlich-buntes Spiel an der Oberfläche mit ironischer Tiefe, die es zu entdecken gilt. Die Pose des Glam-Rock ist das abwaschbare, überdeterminierte Klischee.