Indianer
Was ist nur los? Haben wir unsere tiefe Indianerliebe verloren?
Udo Lindenbergs Oberindianer wird zensiert, Dieter Hallervorden macht sich verdächtig, wenn er nur das I-Wort in einem Sketch ausspricht, eine grüne Politikerin muss sich reumütig für ihren Kinderwunsch entschuldigen, Indianerhäuptling sein zu wollen, der Ravensburg Verlag nimmt ein Winnetou-Kinderbuch nach Protesten vom Markt, Kitas erklären ihren Kindern, Indianer-Kostüme zu Karneval seien unerwünscht, und das ZDF bittet ausdrücklich darum, das I-Wort nicht mehr zu verwenden.
Ebenso geht es dem Häuptling an den Kragen. Das Suffix „ling“ diskriminiert und verniedlicht, also wie beim Flüchtling, Liebling, Schmetterling, Pfifferling. In diesem Fall untergräbt das Hä-Wort die Autorität der Führungskraft. Man sagte jetzt besser Geflüchteter und Gehäupteter.
Der letzte Mohikaner verschwand in den ewigen Jagdgründen, er verschied am bösen Virus der kolonialistischen, rassistischen kulturellen Aneignung. Ist der Wandel vom Indianer zum I-Wort nun ein progressiver moralischer Fortschritt oder ein weiterer aktueller Fall für eine konservative Verlusterfahrung? Schwer zu sagen, vielleicht hilft ja die Erinnerung an die vergangene Indianer-Faszination, die auch die Pop-Musik der frühen 70er erfasste.
Beginnen wir mit Keef Hartley. Der Schlagzeuger von John Mayall gründet 1968 seine eigene Band. Die KEEF-HARTLEY-BAND tourt unermüdlich, sie ist eine der wenigen englischen Bands, die in Woodstock auftreten. Sie rockt häufig in Deutschland, etwa auf den legendären Festivals 1969 und 1970 in Essen oder auch in Aachen zusammen mit Pink Floyd, Deep Purple oder Kraftwerk.
Schon auf dem Cover des Debüts demonstriert Hartley sein Interesse an der indigenen amerikanischen Kultur. Er verkleidet sich stilecht als Komantschen-Chief.
Auf dem Cover seiner 72er Scheibe ist er der mutige I-Wort Hä-Wort im harten Schwarz-Weiß-Kontrast.
Wie er selbst erklärt, möchte er das Thema der Native Americans bewahren: „keep alive“.
Geht das? Ein englischer Blues-Trommler aus Liverpool, der Indianer irgendwie mit der Tugend des Mutes verknüpft und in das Jahr 1972 transportiert: Seventy Second Brave.
Zwei italienische Prog-Bands werben mit Indianern auf dem Cover für ihre 72er Platten. OSAGE TRIBE nennt sich sogar nach einem nordamerikanischen Stamm und gibt sich scheinbar kritisch, wenn das Cover ihrer einzigen LP eine Indianer-Squaw zeigt, die sich vom Kapitalismus verführen lässt. Allerdings zitiert die Zeichnung die fiktive Welten des Flippers Arrow Head aus dem Jahr 1957. Der Designer des Covers, Gianni Sassi, war ein prominenter Künstler, Werbegrafiker und Musikproduzent, der in vielen Kulturbereichen durch seinen innovativen und provokativen Grafikstil bekannt wurde. Er nutzte Elemente aus der Underground-Kultur für den Mainstream, hier eben auch die Indianer. Ein echtes Interesse an indigener Kultur ist eher weniger zu vermuten, auch wenn der Schlagzeuger so trommelt, wie man sich so vorstellt, wie Indianer zu ihrem Regentanz trommeln.
Ähnliches gilt für CAPITOLO 6. Auch diese kurzzeitige Band legte nur ein Album vor – vielleicht ist man mit Indianer-Covern doch nicht so erfolgreich, wie erhofft.
Als Konzeptalbum beschäftigt sich die Platte kritisch mit der Ausbeutung der American Indians, vor allem der Land-Okkupation durch die weißen Einwanderer. Da geht es auch schon mal um Krieger, die sich vom sterblichen Körper verabschieden und in die Welt der Geister eintreten.
Kagua meint wohl einen indianischen Stamm aus Kansas, dieser Name ist aber eher eine Fehlinterpretation der Bezeichnung Kanza für dieses Volk.
SAMMY nannte sich ein kurzzeitiges Projekt von Mitgliedern verschiedener US-Bands, das 1972 die einzige LP einspielte. Das Cover gestaltete Philip Castle, der auch z.B. für Mott the Hoople oder Pulp arbeitete und das berühmte Filmplakat für Clockwork Orange kreierte. Er hat offenbar ein Fable für bestimmte Männerfantasien: etwa Frauen im Pin-up-Stil, für Sammy nun eine Indianer-Squaw. Interessant dabei ist, dass dieses Cover nur auf dem europäischen Markt erschien, nicht aber auf dem amerikanischen. Offenbar konnte man 1972 in den USA mit Indianern auf dem Cover Platten nicht gut verkaufen.
Nochmal zu Keef Hartley und seiner kulturellen Aneignung, wenn er sich als kriegerischen I-Wort Hä-Wort verkleidet. Es gibt auch 72er-Platten, die sich dieses Verbrechens nicht befleißigen, authentische Band von American Indians – wie sie sich zumeist selbst benennen: REDBONE, XIT und BUFFY SAINTE-MARIE.
Aber was heißt schon authentisch? REDBONE hält sich wenigstens einen Indianer, einen Chirokee, als Schlagzeuger, die anderen gehen als Mexikaner wohlwollend auch als Native Americans durch.
Das Debut der Band XIT erzählt als Konzeptalbum, fast in der Art einer Rockoper, die Geschichte der Indianer seit Columbus. Die Mitglieder von XIT aus New-Mexiko haben höchstens einen Sioux-Hintergrund, es heißt, sie seien in der American Indian Movement „verwurzelt“.
Beide Bands werden in den USA von den Medien boykottiert, feiern in Europa dagegen Tour-Erfolge. Sogar das FBI schreitet ein, weil die Band die Regierung für ihren Umgang mit den Indianern kritisiert. BUFFY SAINTE-MARIE ist in Kanada eine berühmte Indianer-Squw, die erste Indigene, die einen Oscar erhielt. Ihr Konterfei ziert eine Briefmarke, in der Sesamstraße erklärte sie jahrelang Kinder die Lebensweise der Ureinwohner. Ihre Platten verkaufen sich gut.
Das könnte ein Hinweis sein, dass der Indianer-Mythos, wie wir ihn kennen und lange liebten, ein rein europäisches Phänomen ist, vielleicht sogar ein ur-deutsches. Schon 1834 verfluchen Drei Indianer in einem Gedicht von Nikolas Lenau die Weißen, die ihnen das Land rauben und sie in den Tod treiben. Der Indianer als der edle Wilde war dann die Projektionsfigur für deutsche Sehnsüchte. Die Indian Weeks in Ostdeutschland, in denen Hobby-Indianer in handgenähten Kleidern und traditionellen Tänzen der amerikanischen Ureinwohner in die Welt der Native Americans versinken – oder besser in ihre Vorstellungen von einem einfachen, naturverbundenen, indianischen Leben.
Am besten bediente natürlich Karl May diesen Mythos, prominent mit der Winnetou-Trilogie, die ihre Fortsetzung in den erfolgreichen Filmen mit Lex Barker, Pierre Brice und dem Halbblut Uschi Glas oder den bis heute beliebten Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.
Aber neben dieser romantischen Version gibt es seit den 60er Jahren auch eine revolutionäre Version des edlen Wilden. So entdeckten etwa amerikanische Lyriker wie Allan Gisnberg, Gary Snyder oder Songwriter wie Leonard Cohen oder Jim Morrison in der indianischen Kultur einen anti-zivilisatorischen Urkommunismus, die Utopie einer herrschaftsfreien, einfachen Gesellschaftsordnung. Die neue Sensibilität für die Native Americans führt in den USA auch zu aufmerksamkeitsheischenden Protestaktionen. Es gab nun auch reale Rebellen von Native Americans, die sich gegen ihre erbärmlich Existenz in den ghettoisierten Reservaten wehrten, etwa mit der spektakulären Besetzung der ehemaligen Gefängnisinsel Alcatraz 1969.
Die europäische, studentisch-intellektuelle Protestbewegung in den späten 60ern griff dieses neue Indianerbild des Brave Warriors begierig auf. Der Kinderheld Winnetou konnte nun auch der Held der revolutionären Stadtindianer sein.
Ikonisches Vorbild des bewaffneten Kampfes gegen einen repressiven Staat war Geronimo. So wie bei Che Guevara überlagerte eine eindrückliche Bildlichkeit die Realität. Spätesten wenn Andy Warhol ein Foto in ein Kunstwerk verwandelt, verschwindet seine reale Referenz. Geronimo war ein Poster-Held. Dieses Foto zeigt den tapferen, aber verzweifelten Guerilla-Kampf des edlen Wilden gegen das übermächtige Schweine-System. So fühlt sich auch die rebellierende Studentenschaft in Tübingen und hängt dieses Poster in die WG-Küche. Nun gibt es neben dem romantisierten Öko-Indianer, der im Einklang mit der Natur lebt, auch den bewaffneten Revolutionär. Schön, wie sich so zwei Träume einer besseren Welt kombinieren lassen.
Der linke Kampf gegen einen repressiven Staat findet seinen Widerhall auch in der Pop-Musik. Schwer zu sagen, ob politisch Bewegte den Pop als Medium für ihre revolutionäre Botschaft nutzen oder ob sich Bands an den Zeitgeist andocken, um ihre Platten zu verkaufen. Das ist die alte Frage nach dem Verhältnis von Pop und Politik.
Jedenfalls nennt sich eine deutsche Band, die eher epigonale Rockmusik betreibt, nach dem ikonischen Kämpfer JERONIMO. Die Band startet mit einer recht erfolgreichen Cover-Version des Songs Heya, der ziemlich klischeehaft Indianergesänge aufführt – oder was man dafür hält. Immerhin hat ein echter Indianer mit dem Künstlernamen J.J.Light den Song komponiert.
Adriano Celentano platzierte sich gleichzeitig in den Charts mit einer deutschen Version, produziert von Giordio Moroder.
Die 72er-LP dieser recht kurzzeitigen Band JERONIMO verhüllt ein interessantes Cover. Mit dem Titel Time Ride begibt sich die Band auf eine Zeitreise in vergangene, irgendwie exotische Kulturen. Horizontal differenziert besteht das untere Personal aus der höfischen und aristokratischen Welt Europas, im oberen Bereich gruppieren sich indianische um afrikanische Kulturen. Ist das ein Clash of Civilizations? Eine Umkehrung der Machtverhältnisse?
In diesem Cover treffen sich zwei Strömungen der deutschen Popmusik in den 70er Jahren: das weltoffene Interesse an einer Bereicherung durch fremde Kulturen und der politisch kritische Impuls, der mit dem Namen JERONIMO verknüpft ist.
Immerhin präsentiert das Cover ein ganz anderes Indianer-Bild als die Sehnsuchtsprojektionen im Karnevals-Kostüm einer hübschen Squaw.

Dass die Rede vom I-Wort Hä-Wort weit weg ist von einer diskriminierenden kulturellen Aneignung, beweist die in dieser Hinsicht völlig unverdächtige Band TON STEINE SCHERBEN. Die Band um Rio Reiser, die nichts dagegen hatte, dass man ihr Kontakte zur RAF unterstellte, bringt 1972 ihr wohl einflussreichstes Album heraus: Keine Macht für Niemand. Die Botschaft eines politischen Anarchismus quillt aus jeder Zeile der Songtexte, die das mitgelieferte Poster abdruckt.
Die Rückseite illustriert dann die drohende Vision mit einem düsteren, apokalyptisch anmutenden New York. Ziemlich klein gedruckt zitieren die Scherben die bekannte Rede des Indianerhäuptling Seattle, der so eindrucksvoll einen naturverbundenen Anti-Kapitalismus in poetischen Worten eines edlen Wilden zum Ausdruck bringt, etwa so: „Ein Indianer liebt den weichen Klang des Windes“ oder „Der Anblick eurer Städte schmerzt die Augen der Rothäute.“ Der Indianerhäuptling dient hier so offensichtlich als großes, bewundertes Vorbild im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus, dass ein Kommentar auf dem Textblatt überflüssig erscheint. Diese Rede war damals ebenso ein zentrales Dokument für die Ökologie-Bewegung und wird auch heute noch zitiert, etwa auf der Seite des BUND.
Es gibt allerdings ein Problem mit diesem Indianer. Die Rede ist gefälscht. Der texanische Kunstprofessor Ted Perry schrieb das Drehbuch für einen Fernsehfilm über Ökologie aus dem Jahr 1971, das diese Rede enthält, und folgte eher seiner Indianer-Fiktion als dem realen Bezug. Diese Rede wurde so beliebt, weil sie so wohltuend dem Bild der indigenen Amerikaner entsprach, das der Indianer-Mythos vom edlen Wilden immer wieder reproduzierte. Die anarchistische Revolution, von der die politische Rockmusik träumte, basiert auf einer Fiktion.
Apropos Täuschung: Die als Indigene gefeierte BUFFY SAINTE-MARIE ist die Tochter weißer Amerikaner mit europäischen Wurzeln. Ihre Biografie als Indianerin aus einem kanadischen Reservat ist gefälscht. Aus der gutmeinenden Anerkennung für American Indians hat sie clever ein erfolgreiches Geschäftsmodell gemacht. Kanada hat daraufhin die verliehenen Ehrungen wieder zurückgenommen. Darf man jetzt noch ihre Platten hören?
Was ziehen wir für ein Resümee aus der Erinnerung an die Pop-Musik des Jahres 1972: Wer Indianer sagt, weiß immer schon, dass er sich in eine fiktiven Welt begibt, die nicht viel mit der Realität indigener nordamerikanischer Stämme zu tun hat. Und das ist gar nichts Verwerfliches, im Gegenteil: es ist notwendig. Um es mit dem Philosophen Markus Gabriel zu sagen: „Nur wer sich täuschen kann, kann die Wahrheit erfassen.“