rauchen

Warum nackte Frauen rauchen

Was wir sehen, blickt uns an (Georges Didi-Huberman). Es ist eine ästhetische Qualität von Bildern, so zurückzuschauen, wie wir sie anschauen. Man muss gar nicht die Quantentheorie bemühen, um zu erfahren, dass die Beobachtung die Wirklichkeit bestimmt. Bilder können so freundlich sein, genau das zu bestätigen, was wir in sie hineinlesen. Und wenn wir offen genug sind, schaffen sie es mitunter auch, unseren bornierten Blick zu irritieren.

Das großartige Cover der LP What Color is Love von TERRY CALLIER besitzt diese Qualität. Es ist ein Kunstwerk in einem ambivalenten Bedeutungsspektrum.

Es ist die dritte LP des us-amerikanischen Gitarristen und Sängers, gelobt von der Kritik, aber ohne kommerziellen Erfolgt. Callier gibt nach weiteren Versuchen auf und wird Programmierer in einem IT-Unternehmen, bevor er in den 90er Jahren wiederentdeckt wird.

Das Coverfoto stammt von Joel Brodsky, der in den 60er und 70er Jahren für über 400 Cover-Gestaltung verantwortlich war und einige ikonische Platten-Verpackungen erschaffen hat, am bekanntesten sind seine Fotos der Doors, 1972 gestaltet er auch Cover für ISAAK HAYES oder die OHIO PLAYERS.

Eine junge, nackte Frau sitzt zusammengekauert in einem Sessel und blickt gedankenverloren, vielleicht traurig in die Leere. Zwischen zwei Fingern hält sie eine Zigarette mit weit abgebrannter Asche kurz vor dem Fall. Über der Lehne des Sessels liegen offenbar Kleidungsstücke, vielleicht ein Kleid. Im Hintergrund sieht man unscharf die Wohnungseinrichtung, man erahnt ein Bett.

Der Widerspruch zwischen der gewöhnlichen Wohnung, dem alten, abgewetzten Sessel und der außergewöhnlichen, makellosen Schönheit des Körpers verleiht der Frau eine Aura von erhabener Einmaligkeit.

Was blickt uns an, wenn wir dieses Cover sehen? Konstruieren wir einmal stereotype Beobachter.

Den männlichen Blick fasziniert die Schönheit dieses weiblichen nackten Körpers, sie weckt erotische Fantasien zu dieser Femme Fatale in ihrer lasziven Haltung.

Der weibliche Blick sieht eine emanzipierte Frau, die authentisch, in selbstbewusster Körperlichkeit ganz bei sich ist und keinen Mann braucht.

Der ökonomische Blick sieht die Instrumentalisierung einer nackten Frau als Kaufanreiz für ein Konsumprodukt nach dem Muster: sex sells.

Der kulturhistorische Blick wittert in dieser Darstellung einer rauchenden Frau die seit Prosper Mérimées Novelle Carmen (1845) in zahlreichen Romanen und Filmen kolportierte Assoziation von rauchenden Frauen und Prostitution oder jedenfalls den Mythos, dass rauchende Frauen unangepasst, erotisch oder gefährlich sind – so auch das Cover der deutschen Band EILIFF aus dem Jahr 1972.

Der psychologische Blick analysiert die Szene vielleicht als Ausdruck einer postkoitalen Dysphorie, als Melancholie nach dem Sex, ein verbreitetes, aber immer noch nicht erklärtes Phänomen. Die klassische Zigarette danach könnte eine Trennungsangst verdrängen – der Intimpartner ist wohl nicht mehr da. Das wussten schon die alten Römer: „Post coitum omne animal triste“, nach der Vereinigung sind alle Lebewesen traurig.

Dieses Cover ist 50 Jahre alt, ein aktueller Blick darauf macht einen radikalen Epochenumbruch deutlich.

Heute wäre ein solches Plattencover nicht mehr möglich. Es ist übergriffig, verletzend, diskriminierend, rassistisch und sexistisch. Wahrscheinlich würde es die Prüfung durch Sensitivity Reader nicht bestehen. Eine Veröffentlichung ginge höchstens mit einer Triggerwarnung so gerade noch durch. Vorsicht: Dieses Cover könnte Ihre Gefühle als sensible, achtsame, woke, menstruierende Person verletzen. Auf jeden Fall muss aber vor der öffentlichen Darstellung von Zigarettenkonsum gewarnt werden. Lauterbach persönlich würde Warnbilder mit schwarzen Lungen auf das Cover kleben.

Was ist passiert, dass sich die elegante, laszive Geste des Rauchens zu einem Wink des Ekels und des tödlichen Gifts verwandelt hat?

In den 50er Jahren haben noch über 80% der Männer geraucht, in den 70ern immerhin noch 60%, heute sind es ungefähr ein Viertel. Bei den Frauen sieht es anders aus, hier stieg die Kurve langsam, aber kontinuierlich. Die Zahl der Raucherinnen verdoppelte sich zwischen 1960 und 1980 von 4auf 8 Millionen – parallel zur erstarkten Frauenbewegung.

1972 war das Rauchen ein selbstverständliche Alltagstätigkeit. Für zahlreichen Musiker auf Plattencovern gehört die Zigarette dazu wie ein Kleidungsstück. Es war unnötig, die Zigarette für das Foto beiseite zu legen.

Ein Blick durch das Fenster auf JIM CROCE Alltag zeigt ihn rauchend. Der junge Mann raucht die Zigarette davor.

Die locker gehaltene Zigarette ist das Symbol einer lässigen Lebens Haltung. Zum Zupfen der Gitarre gehört das Saugen am Glimmstengel.

Das Rauchen ist ein Generations- und kulturübergreifendes Ritual der Kommunikation. Neben einem Tabackgenuss gibt es offenbar auch einen angenehmen Beißreflex.

Der Rauch signalisiert gleichfalls tiefe Nachdenklichkeit bei UDO JÜRGENS und REINHARD MEY.

Es gibt allerdings auch exponierte Raucher so wie LEONARD COHEN, die mit ihrer Geste, etwa dem Genuss einer Zigarre, blasierte Extravaganz signalisieren. JACQUES DUTRONC trägt vermutlich sogar den entsprechenden Smoking für den Rauchersalon.

Die Gefahr des Rauchens besteht in der Analogie zwischen Zigarillo und Knarre.

Und dies sind weitere Raucher auf 72er Platten:

YES, DEEP PURPLE, INCREDIBLE STRING BAND

HOME, CHRISTIAN ANDERS, ARNO CLAUSS

Heute gilt ein weitgehendes Rauchverbot und die moralische Verteufelung des Rauchens. Es hat ein abrupter Wechsel der Wahrnehmung stattgefunden. Eine mondäne und gesellige Tätigkeit wird nun mit abstoßendem Ekel verurteilt. In diesem Wandel wirkt eine Gesundheitsideologie, eine Biopolitik, die den politischen Bürger auf das nackte Leben reduziert.

Für den österreichischen Philosophen Robert Pfaller zeigt diese neue Haltung zum Rauchen exemplarisch einen aktuellen Zeitgeist. Wir haben die Fähigkeit verloren zu genießen, unsere Kultur ist lustfeindlich.

Die Intoleranz gegenüber Rauchern ist ein Modellfall für einen extremen Narzissmus, der in allem eine Belästigung sieht, was dem eigenen Empfinden widerspricht. Der andere ist nur noch eine Bedrohung und das andere meiner selbst muss verboten werden.

Ein tyrannisches Über-Ich gönnt uns nur noch einen entgifteten Genuss, alkoholfreies Bier, fettarme Butter, elektrische Zigaretten, körperlosen Sex. Dabei war es gerade das Schädliche an einem Erleben, das die Lust bereitet.

Nietzsche sagte noch, kein Fest ohne Grausamkeit, und heute feiern wir Geburtstag mit Multivitaminsaft. Rauchen ist somit heute auch wieder ein politischer Akt, weil der Raucher mit solch einem Unterbrechungsritus gegen das neoliberale Effizienzdiktat rebelliert.

Das Rauchen hat immer schon Identitäten produziert und soziale Rollen markiert. Das gilt für den Cowboy oder den kettenrauchenden coolen Detektiven ebenso wie für die neue Frau in den 20er Jahren, die in ihrem eigenen Anspruch auf Genuss ein neues weibliches Selbstbewusstsein demonstriert. (Otto Dix: Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden, 1926)

Hannah Arendt ist das Musterbeispiel dafür, wie die ostentative Geste des Rauchens in einer lässigen Haltung ein reflektiertes Selbstbewusstsein darstellt. Ihr Philosophie-Kollege Jean-Paul Sartre bestätigt diesen Zusammenhang höchst offiziell in seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts: „Jedes unerwartete Ereignis, das meine Augen träfe, war, so schien mir, grundlegend verarmt, sobald ich ihm nicht mehr rauchend entgegentreten konnte. Rauchend-von-mir-aufgenommen-werden-können: Diese konkrete Qualität hatte sich universell auf den Dingen ausgebreitet.“

Das alles ist in unserer genussfeindlichen Welt der Rauchverbote verloren gegangen. Übrigens steht diese Gesundheitsideologie in der Tradition der Nazis. Die Nazi-Medizin erkannte erstmals den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs und verurteilte Nikotin als Rassengift. Im Fokus der Anti-Raucher-Kampagnen standen, nicht weiter überraschend, emanzipierte Raucherinnen.

Der Kulturanthropologe David Gräber stellt in seinem letzten Buch Anfänge (2022) eine steile These zum Thema Rauchen auf. Die Ideen der Aufklärung eines demokratischen Diskurses seien ein Import von sozialen Praktiken nordamerikanischer Ureinwohner.

Jesuiten berichteten vom gemeinschaftlichen Tabakkonsum. „Der Rauch verleiht ihnen Weisheit und ermöglicht es ihnen, selbst die kompliziertesten Angelegenheiten klar zu durchschauen.“

Dieses Cover aus dem Jahr 1972 erinnert uns heute daran, was wir verlieren, wenn wir das Rauchen unter dem Diktat der Gesundheit verbannen: ein demokratisches Gemeinschaftsritual, den Genuss des schmutzige Heiligen, die Eleganz einer lasziven Geste sowie ein klassisches Filmmotiv: die Zigarette danach – und nicht zuletzt das ästhetische Erlebnis eines Kunstwerks als Plattencover.