Der Drogenpapst Timothy Leary bittet John Lennon, seine Kampagne für freien Drogenkonsum mit einem Lied zu unterstützen. Lennon greift Learys Slogan „Come together, join the party“ auf und schreibt Come Together, den Song, der das BEATLES-Album Abbey Road von 1969 eröffnet. Auch wenn Leary gar nicht begeistert war, bringt doch gerade der Nonsense-Text den Zeitgeist einer psychedelischen Gegenkultur treffend zum Ausdruck. Der utopische Traum einer neuen Gemeinschaft in Frieden, Liebe, Harmonie und Gerechtigkeit blüht kraftvoll in diesem kurzen Sommer der Anarchie zwischen 1968 und 1972. Er findet 1972 einen Höhepunkt, bevor der Herbst der Enttäuschung für ein bitteres Erwachen sorgt.
Come together ist ein politischer Slogan, der vom Inhalt auf die Form umschaltet. Genau das macht seinen Reiz aus, darin besteht das Potenzial einer Counterculture. Allein der Appell zur Gemeinschaft hat die Kraft, gegen kapitalistische Konkurrenz, gegen hierarchische Strukturen und Machtverhältnisse anzutreten. Ein interesseloses Interesse ersetzt politische Inhalte: ein wahrhaft revolutionäres Programm.
Dass man das 1972 noch versteht, davon zeugen eine Reihe von Cover-Versionen des Beatles-Songs: rockig von der kanadischen Band THE HANS STAYMER BAND, instrumental souljazzig von THE ICE MAN‘S BAND, soulig von HARRISON KENNEDY. Mit über 10 Minuten zeigt dann die Krautrock-Band KIN PING MEH, wie wichtig der Ruf ist, zusammenzukommen.
Das Mittel wird zum Zweck. Man kommt nicht mehr zusammen, um ein gemeinsames Interesse und Ziel zu verfolgen, jetzt kommt man zusammen – um zusammenzukommen! „Hey you, we could do it together.” (WALPURGIS, Hey You, Over Theret) Inhalte, Botschaften, Gemeinsamkeiten verschwinden hinter einem beliebigen it, stören sogar dem einzigen Ziel, um das es geht: dem TOGETHER.
„We don’t move in any ‚ticular direction / And we don’t make no collections / I want you to join together with the band.“ Während THE WHO das ziellose Zusammenkommen noch als Band bezeichnet, der Ruf Join Together sich aber offenbar selbst begründet, wird das TOGETHER zum programmatischen Konzept aufgeladen, zum emphatischen Appell. JANE, GOLDEN EARRING oder das Gitarren-Duo JULIAN BREAM / JOHN WILLIAMS titeln ihre 72er LPs schlichtweg Together. Alles scheint damit gesagt.
AL GREEN und ARGENT präzisieren die plakative Aufforderung mit ihren LP-Titeln nur unwesentlich: Let’s Stay Together sagt nicht mehr als All Together Now. Eine peruanische Band verdichtet das Programm zu ihrem Namen: WE ALL TOGETHER. So dick, dass die Peinlichkeitsschwelle überschritten wird, treibt es Drafi Deutscher mit seinem kurzzeitigen Band-Projekt WIR. Das die Platte beschließende Lied Gemeinsam beschwört mit Beethovens Europa-Hymne die inhaltsleere Gemeinschaft als Utopie. „Und wenn einer mal nicht mehr weiterkommt, dann weiß er, er ist niemals allein, ein Freund steht für den andern ein, so kann die Welt viel schöner sein.“ So etwas kann man höchstens einem Fußballclub zubilligen wie dem CHELSEA FOOTBALL TEAM, das 1972, mitten in einer tiefen moralischen und disziplinarischen Krise, die Gemeinsamkeit vom Platz auf die Schallplatte verlagert: All Sing Together.
TOM T. HALL deutet wenigstens mit drei Punkten im Titel seiner LP We All Got Together and … an, dass man dann doch irgendetwas machen sollte, wenn man zusammen kommt, aber was nur?
Auch wenn man keinen gemeinsamen Inhalt braucht, um zusammenzukommen, fragt man sich schon, wer denn da TOGETHER ist – und schon spaltet sich die große Gemeinsamkeit in zwei Fraktionen, die kleine und die große Gemeinschaft: Die kleine Zweisamkeit von ‚Ich und Du‘ oder die solidarische Community, das große Wir. Die zwei Seiten des Together-Programms: die Banalität der Liebe und die politische Sprengkraft der Solidarität.
„Together just we two“ (EMERGENCY, Happiness). Being Together (DAVID CASSIDY) bedeutet nun nichts anderes als den Wunsch nach intimer Zweisamkeit. „Us being together is always a very big deal to me.” Wenn Barry White drei Sängerinnen den Namen LOVE UNLIMITED gibt, weiß man schon, wie hier das Together verstanden wird: „Baby, just you and me, how happy we’ll be“. Songs wie Let‘s Stay Together (BILLY PAUL), Let‘s Go Together (DSCHINN), We Got To Live Together (PHIL TRAINER), Let Us Get Together Down Her (HOT TUNA), Come together in love (MOKIE, J.J. & R.O.B.), A Day Our Love Put Together (LORI LIEBERMAN) variieren alle das unverblümte Angebot: Why Can‘t We Live Together? (TIMMY THOMAS).
Als Wort des Jahres, als Programm des Zeitgeistes wird das TOGETHER aber erst als politische Formel der Solidarität. Das TOGETHER ist ein Kampfbegriff.
Come Together ist eine Reaktion auf die Erfahrung von Unfreiheit und Ungleichheit. „Ich bin nicht frei und ich kann nur wählen, welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen.“ Der Analyse verlangt eine Handlungskonsequenz. „Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen. Kommt zusammen, Leute, lernt euch kennen. Du bist nicht besser als der neben dir. Keiner hat das Recht, Menschen zu regieren.“ Das TOGETHER ist für TON STEINE SCHERBEN das Mittel zum Ziel: Keine Macht für Niemand. Aus der Einsicht, „was euch formt, müsst ihr euch mitgestalten“, folgt die Konsequenz, „drum müsst ihr euch zusammentun, wo’s immer geht“ (EULENSPYGEL).
Aber erst, wenn der Ruf nach dem TOGETHER als Solidarität sich verklärt, wird’s richtig gefährlich. Jetzt entfacht man die „Kraft der Solidarität“ (FRANZ JOSEF DEGENHARDT, Sacco und Vancetti). Solidarität heißt die Zauberformel der Klassenkampf-Romantik, die man im Refrain besingt: „Wir halten zusammen, zeigen Solidarität, kämpfen gegen alles, was dem Fortschritt im Wege steht.“ (LOKOMOTIVE KREUZBERG) „Wir schließen uns zusammen und nehmen unsere Sache in die Hand. Wir sind solidarisch mit unseren Freunden in jeder Schule, in jeder Fabrik.“ (HOTZENPLOTZ) Es kann jedoch auch eine leichte Drohung mitschwingen, die vor einsamen und individuellen Wegen warnt. „Nur gemeinsam könnt ihr’s schaffen, euch zu helfen, denn sonst ist’s zu spät.“ (NECRONOMICON, Tips zum Selbstmord). Zusammen geht es in den (Klassen-)Kampf, wie es FRANZ K. unmissverständlich klären, wenn sie Das goldene Reich erträumen: „So laßt uns zusammenstehen, weil einer allein nichts schaffen kann / Heißt: kämpfen, Brüder.“
Solidarisierte kommen zusammen, weil sie auf einen großen gemeinsamen Feind blicken. Der einfachste Begriff des Politischen, die Unterscheidung von Freund und Feind, setzt seine Erfolgsgeschichte fort.
„Wenn du nachdenkst, was es ist, was dich frustriert,
wenn dir aufgeht, dass nach dem System ausgebeutet wird,
dann erkennst du, wer er ist,
dein Feind, der Kapitalist,
dein Feind, der Kapitalist.“ (HOTZENPLOTZ)
Nur gegen solidarische Freunde, die zusammen denken und handeln, hat „der Kapitalist“ keine Chance. Das Arme Unternehmerlein ahnt schon, was auf ihn zukommt. „Der Kapitalist ist manchmal gar nicht so blöd, er wittert die Gefahr“ (HOTZENPLOTZ), und die Solidargemeinschaft feiert ihren Sieg avant la lettre. „Wir wollen nicht mal, dass du blutest, nur dass du dich beim Abhauen sputest.“ (HOTZENPLOTZ).
Das Jahr 1972 berauscht sich wohlig und selbstverliebt an seinem utopischen Traum von der Solidargemeinschaft als Basis einer besseren Welt. Das Zusammenzukommen wird reichen, die Welt zu retten. TOGETHER schreiten wir in ein Reich der Freiheit und Gleichheit.
Es gibt jedoch auch ein paar wenige nüchterne Stimmen. Der Liedermacher Arno Clauss macht sich über ein Karlchen in der Badewanne lustig. Die jugendliche Eingebung in der Badewanne, „so kann das nicht weitergeh’n, denn so ist das Scheiße, wenn wir alle zusammensteh’n, dann wird’s auch anders, weißte“, verschwindet langsam, bis Karl in einem „durchschnittlichen Dreipersonenhaushalt“ landet und sich kaum noch erinnert. Er „kratzte sich am Kopf und dachte: ‚Ich hatt‘ doch damals so ein‘ unverschämt revolutionären Spruch!‘. Er grübelte, dann kams ihm – ganz langsam und ganz leise: ‚Ja, so kann das nicht weitergeh‘n“. ARNO CLAUS entzaubert die Waffe der Solidarität und fragt ironisch an, ob das TOGEHTER tatsächlich reicht, die Verhältnisse zu ändern.
Ihren emphatischen Ruf „Join Together“ , immerhin ein Top-10-Hit in Großbritannien, beherzigt die Band THE WHO selbst nicht. Die Bandmitglieder können sich nicht auf eine gemeinsame LP einigen und verfolgen lieber Soloprojekte – das große Together bleibt nur ein großes Wort.
Aber selbst das Zusammensein intimer Zweisamkeit wird hinterfragt. Ist man mit seinem Geliebten tatsächlich zusammen oder ist man nicht eigentlich zusammen allein? Was MELANIE als Appell formuliert, „let’s be together, let’s be together alone“, ist für Giorgio Agamben „Ausdruck der Intimität“: „Wir sind zusammen und uns ganz nah, aber es gibt keine Verbindung oder Beziehung zwischen uns, die uns vereint; vereint sind wir in unserem Alleinsein.“ (Der Gebrauch der Körper, S. 399) Nicht nur das TOGETHER politischer Solidarität, sogar das Zusammen-Sein des sich liebenden Paares ist ein Mythos, eine Illusion.
Ausgerechnet einer der erfolgreichsten Titel des Jahres von einem unbedarften Pop-Sänger, der sonst nur Konventionen der Love-Songs bedient, hinterfragt die Kraft der Gemeinsamkeit in einem drastischen Bild. Der Song Alone Again (Naturally) von GILBERT O‘SULLIVAN steht sechs Wochen an der Spitze der US-Charts und gilt als einer der traurigsten Songs aller Zeiten. NEIL DIAMOND, der den Song 2010 covert, konnte nicht glauben, dass ein 21-Jähriger ein solches Lied schreiben kann. Schnell vermutet man relativierend eine ganz persönliche Story, doch O‘Sullivan selbst bestreitet einen autobiografischen Hintergrund. Worum geht es? Der Song berichtet von einer Eskalation des Verlassenen. Das Lyrische Ich wird am Traualtar von seiner Braut verlassen, die Eltern sterben und Gott verlässt ihn. Die Vision von der liebenden Gemeinschaft wird von der Wirklichkeit eingeholt. „Reality came around, cut me into little pieces, leaving me to doubt.“ Was bleibt, ist der Zweifel an einem offenbar unrealistischen Lebenskonzept. Das TOGEHTER zerfällt, „We may as well go home as I did on my own“, und man ist auf sich selbst zurückgeworfen. Die rätselhafte Klammer um das (Naturally) kann als Eingeständnis gedeutet werden, dass die Illusion einer Einheit in der Gemeinschaft dem natürlichen Prozess nicht widerstehen kann. Der Song endet mit seinem Titel „alone again, naturally“. Traurig und suizidgefährdet endet das Zusammensein im Alleinesein, frei nach dem Motto: Hast du Freunde oder keine, am Ende bist du doch alleine.
TOGETHER ist das Wort des Jahres 1972. In ihm verdichtet sich der Traum von einer Gemeinschaft, die in Glück, Liebe und solidarischer Kraft die Welt zu einer bessern verwandeln kann. Doch schon inmitten dieser Utopie schleicht sich die Realität ein und lässt Zweifel aufkommen. ALONE AGAIN ist die Schattenseite einer schönen Utopie des TOGETHER. Die ROWAN BROTHERS entzaubern in ihrem Song All Together den Slogan des Jahres noch drastischer: „All together, all together ´til the end / Reality is nothing but a fantasy.“